Psychosomatische Störungen im Leistungssport

Der therapeutische Einsatz von Bewegungs- und Sporttherapien zur Vorbeugung und Heilung seelischer Störungen hat lange Tradition und lässt sich zurückverfolgen bis hin in die vorchristliche Zeit und Antike. In Deutschland haben sich seit etwa 50 Jahren sport- und bewegungstherapeutische Angebote in psychiatrisch-psychosomatischen Behandlungseinrichtungen etabliert, die als sinnvolle Zusatzmaßnahme in einem multimodalen Gesamtbehandlungsplan integriert und empfohlen werden. Der therapeutische Effekt ist besonders bei Depressionen, aber auch bei Psychosen, Angststörungen und hyperkinetischen Störungen nachgewiesen. Die eingesetzten Verfahren, die allesamt positive körperliche und emotionale Veränderungen zum Ziel haben, zeigen eine große Spannbreite und beziehen ihre Impulse v.a. aus den beiden Polen Physiotherapie (z.B. traditionelle Krankengymnastik, Sporttherapie) und Psychotherapie (z.B. Tanz- und Bewegungstherapie). Die Verfahrens- und Wirkungsweisen sind also mehrdimensional, wobei in der Therapie von seelischen Störungen gerade auch die psychosozialen Anteile von Sport und Bewegung eine wichtige Dimension darstellen. Es geht also nicht allein um Ausdauer-, Kraft- und Muskeltraining; in psychosomatischen Kliniken wird Bewegung vielmehr gezielt als Medium der Psychotherapie eingesetzt („body psychotherapy“). Im Fokus der Aufmerksamkeit steht zum Beispiel das sich selbst (Wieder-) Erleben wie auch Übungen zur Körperachtsamkeit. Ein weiterer positiver Nebeneffekt – besonders durch die Verordnung erlebniszentrierter Bewegung in der Gruppe - ist die Schulung des Sozialverhaltens und die Rückeroberung zwischenmenschlicher Kompetenzen. Stabilität im Rückgrat und Selbstvertrauen, Körper und Geist, bilden seit Menschengedenken - und besonders auch in der Psychosomatik der NEXUS-Klinik - eine untrennbare Einheit!

In der Fachliteratur wird in Zusammenhang mit Sport und Bewegung in der Psychosomatik von der „two route strategy“ gesprochen. Gemeint ist, das körperliche Aktivität das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen, die unter psychischen Symptomen leiden, auf zwei Wegen verbessern kann: einerseits über die Verbesserung der körperlichen Gesundheit, andererseits über den Rückgang psychischer und sozialer Beeinträchtigungen. In der S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen sind die biologischen und psychologischen Effekte von Sporttraining veröffentlicht und aufgeführt (s. Tabelle). Wissenschaftliche Erklärungsansätze für die positiven psychischen Effekte von Sport und Bewegung diskutieren u.a., dass bestimmte motorische Aktivitäten, insbesondere Ausdauertraining, den Endorphinspiegel wie auch die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin erhöhen und stabilisieren.

Psychische Probleme und Erkrankungen bei Topathleten und Spitzensportlern sind bis heute ein Tabuthema. Unser großer Wunsch ist deshalb die vertrauensvolle Vernetzung und interdisziplinäre Zusammenarbeit von niedergelassenen Sportmedizinern und –therapeuten mit Spezialkliniken wie der NEXUS-Klinik, um die Übergänge von ambulanter wie stationärer Versorgung und Behandlung im Leistungssport stetig zu verbessern. 

Krankheitseinsicht und –verständnis sind nicht nur bei den Betroffenen selbst, sondern leider auch bei Trainern, Betreuern und innerhalb der Sportlerfamilie ungenügend. Neben der komplexen wechselseitigen Beziehung des spezifischen Umfelds sind die stark leistungsorientierte Grundpersönlichkeit eines Spitzensportlers, die doch außergewöhnlichen physisch-mentalen Anforderungen in der Wettkampfvorbereitung mit kräftezehrenden Trainingseinheiten, aber auch die Besonderheiten beim Abwägen einer Medikamentengabe zu beachten. 

Sportspezifische Therapien - im ambulanten wie im stationären Setting - erfordern also nicht nur Spezialwissen, sondern viel Fingerspitzengefühl und hohe Flexibilität eines multiprofessionellen Behandlungsteams: 

Allgemeine Aspekte zu Sport und psychischer Gesundheit: 

Ausdauer- und Kraftsport finden sich in den Therapieempfehlungen der Leitlinien wieder, so z.B. der S3-Leitlinie Depression (AWMF, 2017). Das Potenzial von Sporttherapie wird beispielsweise in der sog. STEP.De-Studie untersucht, die sich der Aufgabe annimmt, die Effektivität, aber auch die Kosteneffizienz von körperlicher Aktivität bei leichter bis mittlerer Depression im Vergleich mit Psychotherapie zu evaluieren. Sportwissenschaftliche Studien zeigen zudem zweifelsohne eine gute Evidenzlage für die therapeutische Wirksamkeit von körperlicher Aktivität und Sport in der Behandlung von Angststörungen (spezifische Phobien und Panikstörung). Gerade die Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie mit Expositionsübungen und zusätzlicher Anwendung eines moderaten Trainingsprogramms als mehrwöchiges Ausdauertraining zeigt hervorragende Ergebnisse und reduziert bestehende Angstsymptome signifikant. Zahlreiche querschnittliche Untersuchungen beweisen zudem, dass Sport gleichzeitig protektiv bezüglich der Entstehung von Angststörungen wirkt. Bezüglich der genauen Wirkmechanismen, über die körperliche Aktivität positive Effekte auf Ängste vermittelt, existieren gut nachvollziehbare Hypothesen. Besonders oft werden auf psychologischer Ebene die Exposition und eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung sowie auf physiologischer Ebene ein Einfluss über die Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure, Norephedrin und Serotonin sowie den Nervenwachstumsfaktor BDNF (brain derived neurotrophic factor) als wahrscheinliche Wirkfaktoren diskutiert. Aktuelle Metaanalysen belegen zudem die Wirksamkeit von sportlicher Aktivität auf hyperkinetische Störungen und Aufmerksamkeitsdefizite (ADHS-Symptomatik) belegen: Dabei stellen kognitiv fordernde Sportarten wie Ball-, Rückschlag- oder Kampfsportarten besonders effektive Interventionsformen in der adjuvanten Behandlung der ADHS dar und können den manchmal unkritischen Einsatz von Medikamenten verhindern.

Die bisher veranlassten Studien haben allerdings sehr unterschiedliche Aktivitätsformen wie Ausdauer- und Krafttraining, aber auch Yoga und Tai-Chi in der Behandlung psychosomatischer Störungen untersucht. Aufgrund die allgemein gültigen Hinweise der Weltgesundheitsorganisation WHO bezüglich des wöchentlichen Bewegungsausmaßes beachtet und angeraten: Demnach soll eine erwachsene Person pro Woche zumindest 150 Minuten moderat körperlich, 75 Minuten intensiv oder kombiniert moderat und intensiv körperlich aktiv sein.

Dass die extreme Ausübung von Ausdauer- und Kraftsport gesundheitliche Risiken in sich birgt, zeigt sich in der spezifischen Behandlung von Topathleten und Spitzensportlern. Eine gesunde Psyche ist zentraler Faktor im Abrufen von Extremleistungen. Stressoren wie extrem hoher Leistungsdruck, die Abhängigkeit von der öffentlichen Berichterstattung, von Medien und Sportjournalisten in Phasen des (vermeintlichen) Misserfolgs, die zunehmend unsichere berufliche Perspektive, die chronische Angst vor dem unerwartet plötzlich bedingten Ausscheiden infolge einer Verletzung oder aber das altersbedingte Karriereende sind typisch quälende Störfaktoren bei der Aufrechterhaltung von psychischer Gesundheit im Spitzensport. Gleichzeitig ist der Zugang zu einer adäquaten ambulanten oder stationären evidenzbasierten psychosomatisch-psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung für Leistungssportler unvergleichlich schwieriger als für die Allgemeinbevölkerung. Psychotherapie wird leider immer noch als Schwäche ausgelegt auf dem Weg zum Siegerpodest. Dass nicht nur eine Muskelfaser reißen kann, sondern auch die Psyche verletzlich ist, passt nicht ins Bild eines Berufssportlers. Ein Expertennetzwerk von professionellen Anlaufstellen braucht es, um diesem Stigma entgegenzuwirken und der Sportspezifität psychischer Störungen gerecht zu werden.

Die Phänotypen sportspezifischer affektiver Störungen, Angsterkrankungen, Schlafstörungen, Somatoformer Störungen, chronischer Schmerzsyndrome, Störungen durch psychotrope Substanzen („Drogen“, „Doping“) oder atypischer Essstörungen im Leistungssport unterscheiden sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Sportart - ästhetische Sportart oder sog. „Leanness Sports“ versus Kontakt- oder Hochrisikosportart, Ausdauer- versus Kampf- oder Kraftsportart, Einzel- versus Mannschaftssportart – vom Alter (Karrierebeginn oder –ende) und vom Geschlecht teils erheblich von denen in der Allgemeinbevölkerung.

Zur Qualitätssicherung unserer klinisch-therapeutischen Arbeit bilden wir uns stetig fort und organisieren Weiterbildungen: Prävention, Behandlung und Erhaltung der seelischen Gesundheit und die Erforschung und bessere Integration von Sport- und (achtsamkeitsbasierter) Bewegungstherapie in der Behandlung psychischer Erkrankungen liegen uns am Herzen. Deshalb engagieren wir uns für den Einsatz und die Förderung von Sport-, körper- und bewegungsorientierten Verfahren in wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften, Berufsverbänden und Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (DGSPP), der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Deutschland e.V. (asp), dem Berufsverband der Deutschen Internistinnen und Internisten (BDI) sowie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN).

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